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Die Jeunes Restaurateurs kochen "typisch deutsch"

Eigentlich gibt es die deutsche Küche gar nicht – die deutsche Küche ist eine Ansammlung von Regionalküchen. Ein verbindendes Element ist allenfalls die Rustikalität. Vielleicht ist das ein Grund, warum sich die deutschen Spitzenköche, von wenigen Ausnahmen abgesehen, kaum um eine Verfeinerung der Regionalküchen bemüht haben, sondern sich, je nach kulinarischem Zeitgeist, an der französischen Klassik, der spanischen Moderne oder dem skandinavischen Purismus orientiert haben. Einige im Trend liegende Restaurants haben sich zwar der Neu- und Wiederentdeckung regionaler Zutaten verschrieben und versuchen deren Geschmack sie neu erforschen und ausreizen. Regionale Rezepte werden jedoch dort nicht unbedingt neu gedacht. Vielleicht liegt darin auch ein Grund für die fehlende internationale Beachtung deutscher Spitzenköche.

Die Vereinigung Jeunes Restaurateurs (JRE) hat sich nun das Motto „Typisch deutsch“ gegeben. Bereits bei der Chef-Sache, dem Avantgarde-Cuisine-Festival in Düsseldorf, stellte JRE-Präsident Alexander Dressel die Kampagne vor: Klassiker aus deutschen Küchen in moderner Optik – inclusive einer Currywurst. Gestartet wurde die Kampagne mit einem Genusslabor, das Anfang Oktober im Sylter Zwei-Sternerestaurant Söl’ring Hof stattfand. Neben den beteiligten Köchen waren auch Produzenten aus dem JRE-Genussnetz und einige Journalisten eingeladen. Deutschland sei ein Arbeiterland, entsprechend fett sei die Küche, sagte Sternekoch Tobias Bätz (Restaurant Alexander Herrmann, Wirsberg), der das Genusslabor leitete. Der Abend werde zeigen, ob Lederhosen oder Saumagen die deutsche Küche ausmachten – beides stand allerdings nicht auf dem Programm.

Das JRE-Genusslabor stellten die beteiligten Köche vor die Aufgabe, ihnen vorab zugeloste Gerichte neu zu interpretieren. Dabei sollte jeder der Köche seine eigene Komfortzone verlassen.

Um „Schnittchen“ durfte sich Sebastian Hadry (Landhaus Hadry, Magdeburg) kümmern. Unter einer üppigen Kaviarnocke vom Caviar House Prunier verbarg er das kleine, runde „Schnittchen“ mit Carpaccio vom Steinköhler, sowie Apfel und Meerrettich. Dazu wurde eine säurebetonte Vinaigrette mit Vogelmiere, Apfel und Olivenöl angegossen. Die Frage, wie der Kaviar in diesem Gericht am besten präsentiert wird, war das Kernthema der Manöverkritik. Denn, wenn alle Zutaten zusammenkamen, stach der Kaviar weniger hervor, sondern ordnete sich eher den übrigen Zutaten und der merklichen Säure der Vinaigrette unter. Die Empfehlung des ehemaligen Zwei-Sternekochs Alexandro Pape: Zuerst den Mund mit Kaviar „impfen“ und dann das Schnittchen essen.

Jan-Philipp Berner sollte die Frankfurter Grüne Sauce neu interpretieren und zwar in Kombination mit Saibling des Fischzüchters Pistole, der mit der japanischen Ike-Jime-Methode getötet wurde. Wie für seine Küche typisch, inszenierte er das Gericht auf mehreren Tellern. Im Zentrum stand roh marinierter Saibling mit Gurke und Öl aus 14 Sylter Kräutern. Einem in Borretsch eingeschlagenen und in Pergament gegarten Stück Saibling und geräucherte Kartoffeln mit grüner Sylter Sace und Kaviar. Mit nach der Ike-Jime-Methode getötetem Fisch habe er nicht viel Erfahrung, sagte der Küchenchef des Zwei-Sternerestaurants Söl’ring Hofs, aber ihn beeindrucke die nahezu mürbe Konsistenz des Fischs. Die Frankfurter Grüne Sauce habe er mit Kräutern Sylts recht frei interpretiert – auch weil die Zahl der verschiedenen Kräuter gegenüber der Frankfurter Grünen Sauce deutlich erhöht wurde. Außerdem sei ihm nach dem Brainstorming im Team klar gewesen, dass er ein eher „leises“ Gericht mit „etwas Rustikalität“ präsentierte wolle. Dies gelang auf hervorragende Weise – die einzelnen Bestandteile auf den Teller schmeckten jeder für sich genommen harmonisch und fügten sich ebenso zu einer gelungenen Kombination zusammen.

Michael Philipp (Restaurant Philipp, Sommerhausen) präsentierte ein Leipziger Allerlei. Statt des traditionell zu dem Gericht gehörenden Flusskrebs sollte die Bayerische Garnele von Crusta Nova verwendet werden. Michael Philipp beizte diese ziemlich kräftig, so dass die allein schon sehr salzig schmeckte. Alle Gemüse hatte er fermentiert oder gepickelt – so dass alles ziemlich säuerlich oder salzig schmeckte. Einzeln probiert waren die Komponenten nicht unbedingt ein Genuss. Aber an das Allerlei wurde eine buttrige Sauce angegossen, die dem Gericht die gewünschte und erforderliche Harmonie gab und der Salzigkeit und Säure nur die Extreme nahm.

Thomas Merkles (Merkles Restaurant, Endingen) Aufgabe war es, den rheinischen Sauerbraten mit Gewürzen von Spirit of Spices neu zu inszenieren. Der badische Sternekoch zeigte vor allem klassisches Handwerk bei der Fleischzubereitung und das gleich in mehreren Temperaturstufen: Das Tatar würzte er mit Garam Masala. Das Medaillon schmorte er, klassisch eingelegt, 45 Stunden bei 60 Grad. Es hatte feine Röstnoten und war das schönste Fleischstück auf dem Teller. Der Rotkohl war mit Ingwer, Soja, Salz und Schwarzwaldmiso fermentiert. Dazu kam ein Chutney von Trauben, Rosinen und Ingwer. Dadurch erschien das Gericht eher als verfeinerte Version des Klassikers mit dem gewohnten Geschmacksbild. Allerdings verliehen die Gewürze der Komposition eine bemerkenswerte Spannung.

Daniel Schmidthaler (Alte Schule Fürstenhagen, Feldberger Seenplatte) sollte eine Kartoffelsuppe neu interpretieren. Er entfernte sich mit seiner Interpretation besonders deutlich vom Original und stellte damit auch Grenzen der Komfortzone mancher Gäste infrage – was das Gericht nur noch interessanter machte. Für die Kartoffelsuppe verwendete er drei verschiedene Sorten vom Siegbert Ochsenschläger. Die Rote Emmalie schnitt er längs auf und dünstete sie kurz an. Das Bamberger Hörnchen hatte Daniel Schmidtthaler geschält zwei Wochen im Einmachglas mit der Asche einer violetten Kartoffel gereift und roh über den Teller gehobelt. Dazu kam eine Bechamel aus blaukörnigem Weizen und frischem Schnittlauch, Puder von gemahlenem Emmerkorn und ein Sud aus Zwiebel und Kirschessig. Die Suppe zeichnete eine fruchtige Säure aus, bei den Kartoffeln dominierten Noten, die an eine nur minimal gegarte, oder gar rohe Kartoffel erinnerten. Das waren deutliche Kontraste, die das Gericht sehr spannend machten.

Iris Bettinger (Reuter, Rheda-Wiedenbrück) sollte die Kirchweih-Ente interpretieren – dazu gehören auch Knödel, die die Sterneköchin allerdings „gar nicht mag“, wie sie zugab. So verwandelte sie den traditionellen Knödel in eine eher leichtere Kartoffel-Dampfnudel, die je zur Hälfte aus Kartoffel und Mehl bestand. Der Rotkohl war auf verschiedene Arten zubereitet. Insbesondere hat Iris Bettinger auf dem Grill verkohlte Rotkohlblätter mit dem Entenfleisch zusammen mariniert. So verschmolzen nicht nur Brust und Keule zu einem Stück Fleisch gleichmäßiger Qualität, auch der Grillgeschmack wurde so gut in das Fleisch integriert. Der Gang war harmonisch und hatte noch einen Tick Rustikalität.

Das Dessert von Markus Pape (Weinhotel & Restaurant Meisenheimer Hof, Meisenheim) war eine Biersuppe. Als Bier sollte das WATT-Bier, das er ehemalige Zwei-Sternekoche Alexandro Pape auf Sylt produziert verwendet werden. Da es auch zum Essen ein Glas davon zu Trinken gab, war der bittere Geschmack im Dessert nicht so gut wahrnehmbar, aber doch vorhanden. Aber er steckte vor allem in der süffigen Sauce, die auch einen vanilligen Charakter hatte. Dies gab dem Dessert einen feinherben, vielschichtigen Geschmack.

Benjamin Unger (Blauer Engel, Aue) betrieb mit seinem Petit Fours nach Vorbild der Bergischen Kaffeetafel einen unglaublichen Aufwand. Sie waren exakt gearbeitet und zeigten die herzhaften Noten der Bergischen Kaffeetafel in jedem der feinen Kleinigkeiten sehr gut auf die Zunge. Das war noch mal ein richtiges Highlight zum Abschluss dieses Menüs.

Tobias Bätz war vom Genusslabor auf Sylt begeistert: „Die Kollegen haben fantastische Interpretationen der deutschen Küche auf die Teller gebracht. Beeindruckend war die Bandbreite von traditionellen bis hin zu eher experimentellen Annäherungen an das Thema.“ In der Tat, das Menü zeigte das Potenzial der deutschen Küche.

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